Es geht nicht um "Malen nach Zahlen"!

Wolfgang Hothum gilt als Spezialist für Plakatwerbung. Mit seinem Institut für Kommunikations-Analyse und -Optimierung (IKAO) und der von ihm entwickelten Dialog-Struktur-Messung (DSM) hat der einstige Creative Manager in den letzten sieben Jahren rund 10.000 Analysen von Kampagnen, Spots und Anzeigen vorgenommen.

PLAKATUNION: Herr Hothum, Sie klagen oft über misslungene Plakatmotive. Was läuft schief auf deutschen Großflächen?
Wolfgang Hothum: Ich habe so oft das Gefühl, dass viele Verantwortliche beim Gestalten alles vergessen, was sie im Grundstudium gelernt haben – oder es einfach ignorieren. Von der Markenseite her gesehen ist das Problem, dass viele glauben, ein Plakat sei eine großgezogene Anzeige, die alles aushält. Sowohl Agenturen als auch Markenverantwortliche müssten sich mehr mit dem Medium beschäftigen und das Plakat als eigenständiges Instrument sehen. Das fehlt oft.

Worin bestehen häufige Fehler?
Es geht nicht um Malen nach Zahlen, denn es gibt kein Grundrezept für ein Top-Plakat – wichtig ist, auf die Marke einzugehen. Aber ich muss wissen, wie das Medium Plakat funktioniert, in welchem öffentlichen Raum die Verbraucher sich bewegen und wie wenig Kontaktzeit überhaupt vorhanden ist. Ich brauche Durchsetzungsfähigkeit und muss eine Essenz bilden, also viel mehr trichtern als bei einer Anzeige oder bei einem Flyer.

Vielleicht möchten junge Verantwortliche lieber etwas Neues ausprobieren?
Dagegen wäre nichts zu sagen, aber dazu sollte klar sein, wie so etwas wirkt. Derzeit haben wir zum Beispiel diese Mode, dass unglaublich viele Marken mit handschriftlich anmutenden Typos agieren und da teilweise enorm daneben greifen, weil das viel Lese-Energie fordert und oft viel zu klein abgebildet wird. Damit machen sich viele verwechselbar, weil der Grundcharakter der Motive sehr ähnlich ist. Im schlimmsten Fall werbe ich damit sogar für die Konkurrenzmarke.

Was ist in solchen Fällen zu tun?
Den Ausgleich suchen! Bei einer Schrift mit schlechteren Lesbarkeitswerten muss ich die Typo vergrößern, und eine größere Typo heißt in der Regel, dass ich weniger Text brauche und schon sehen wir, dass bei der Plakatgestaltung alles mit allem zusammenhängt.

Was muss ich kreativ beachten bei der Gestaltung einer klassischen Großfläche?
Die meisten glauben, sie bräuchten eine Idee. Da geht es schon los. Ein gutes Plakat muss nicht zwingend eine Idee haben. Es muss gut gemacht sein. Zunächst muss da möglichst wenig auf die Fläche und es muss erkennbar sein, um welche Marke und um welches Produkt oder Angebot es geht. Oft wird das Wichtige durch Nebensächliches und Unwichtiges kannibalisiert. Also ganz simple Kniffe: Nutzt die Fläche, macht Marke und Angebot klar erkennbar und achtet auf die Wahrnehmungsdistanzen, die für dieses Medium gelten. Wenn man dann noch eine schöne Idee hat, ist das wunderbar, aber es kommt unglaublich stark auf Handwerk und um das Wissen um die Wahrnehmungsmuster an – viel mehr als in anderen Bereichen.

Warum ist das so?
Wir haben beim Plakat maximal zwei Sekunden Aufmerksamkeit. Manche sagen drei Sekunden, aber dann müsste schon ein Blickanker gesetzt sein, damit jemand bereit ist, dort länger hinzuschauen. Man darf den optischen Geräuschpegel nie vergessen, der durch andere Motive herrscht und durch die immer viel bewegten Elemente Autos und Menschen im öffentlichen Raum.

Sie führen die Dialog-StrukturMessung auch für TV-Spots und Print-Inserate mit verschiedenen Anwendungen durch. Für welches Medium werden Sie am häufigsten angefragt?
Sehr gängig ist Plakat – ohnehin ein stark wachsender Medienbereich mit hoher Akzeptanz insgesamt. Dazu kommt DOOH und wir sind stark im Mailingbereich aktiv, denn webbasierte Werbemedien nehmen auch extrem zu. Andererseits sehen wir auch einen Zuwachs bei TV und Kino, und auch hier kommen viele mit ihren Spots zu uns und lassen Varianten testen, die auf verschiedenen Plattformen eingesetzt werden.

Was ist für Sie die größte Herausforderung?
Ich persönlich habe keine Präferenz, aber Plakat ist für mich immer die Königsdisziplin der Kommunikation, weil sie auf wenig Fläche eine Essenz bilden und die richtige Gewichtung haben müssen. Als Markenverantwortlicher und Kreativer brauchen Sie hier ein gutes Händchen für das, was relevant ist und was man weglassen kann.  Deshalb mag ich Außenwerbung oder Plakat gerne, weil man auch schnell erkennen kann, ob da gute oder weniger gute Leute am Werk waren.

 

 Zum letzten Teil des Interviews